Rede zum 90. Geburtstag der GEDOK Heidelberg und zur Ausstellungseröffnung „Augen auf: Angewandte Kunst!“ am 07.07.19, Wasserschloss Bad Rappenau ____________________________________________________________________
Sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Frau Störner, sehr geehrte Frau Böhm, liebe Dorothea Paschen, liebe Frau Geiss und vor allem: liebe Ausstellerinnen!
Ich bedanke mich für die Einladung der GEDOK Heidelberg, als Bundesfachbeirätin für Angewandte Kunst/ ArtDesign zur Ausstellungseröffnung „Augen auf: Angewandte Kunst! “ zu eben dieser sprechen zu dürfen!
Gleichzeitig wurde ich gebeten, dies möglichst kurz zu tun – weshalb ich auch nicht, wie sonst, frei spreche...
Die Angewandte Kunst ist ein weites Feld – und ich kann hier nur ein paar Schlaglichter darauf werfen und versuchen, diese zu verbinden. ́Kurz ́ darüber zu sprechen ist etwas, das der Quadratur des Kreises gleichkommt...
Aber damit bin ich auch schon im Thema, denn die hiesigen Ausstellerinnen haben sich, inspiriert durch 100 Jahre Bauhaus, vor allem mit dem Raum auseinandergesetzt – nicht nur im geometrischen, sondern auch im temporären und interdisziplinären Sinne.
Die Beschäftigung damit ist so etwas wie der rote Faden, gleichsam die Architektur dieser Ausstellung und damit eine Reminiszenz an das Bauhaus, der bedeutendsten Schule für Architektur, Design und Kunst im 20. Jh.., die versuchte, Handwerk und Kunst in idealer Einheit zu verbinden, die zuvor an den Akademien getrennten Künste wieder zu vereinen und in einen realen Ausbildungsweg münden zu lassen.
Auch ich möchte mit der zeitlichen Klammer am Bauhaus bzw. dessen Gründung ansetzen: was war denn in diesen 100 Jahren?
Kurz zuvor, Ende 1918, wurde das Wahlrecht für Frauen eingeführt, einen Tag nach Ende des 1. Weltkrieges; 1919 das Bauhaus gegründet, 1926 die GEDOK und nur drei Jahre später, 1929, die GEDOK Heidelberg.
Aber wir feiern in diesem Jahr auch 30 Jahre Mauerfall (und meinen persönlichen 30. GEDOK-Geburtstag) und verbunden damit einen Zuwachs an erstklassigen Künstler*innen.
Und bald auch 150 Jahre Ida Dehmel, Gründerin der GEDOK. Der 150. Geburtstag ist zwar erst am 14. Januar 2020, aber natürlich war sie jetzt schon vorhanden.
Es ist doch bemerkenswert, dass sich Bauhaus und GEDOK – diese Schwestern im Geiste des Interdisziplinären – zwischen zwei Weltkriegen institutionalisiert haben und mit dem Jahr 1933 einen herben Ein- und Abbruch erlebten. Die Zeit des Bauhauses endete in diesem Jahr, die GEDOK wurde in die ́ReichsGEDOK ́ überführt, Ida Dehmel als Vorsitzende ihres Amtes enthoben und jüdische Künstlerinnen aus dem Verband entfernt; entweder durch Aberkennung ihrer Mitgliedschaft oder Deportation.
Bis zu diesem Jahr allerdings wuchs die GEDOK unaufhörlich und erlangte eine Mitgliederzahl von über 5.000 Mitgliedern (manche Quellen sprechen von ca. 7.000), wobei die sog. Angewandten Künstlerinnen die größte Gruppe darstellten. Ida Dehmel war besonders dem traditionsreichen künstlerischen Handwerk von Frauen verbunden und bemüht, diesem eine bessere Anerkennung zu vermitteln.
In ihrem Hamburger Haus, das inzwischen renoviert in Hamburg-Blankenese Besuchern offen steht, sind ihre eigenen Stickereien zu sehen. In der Geschäftsstelle des GEDOK Bundesverbandes in Bonn wird ebenfalls eine ihrer eigenen originalen Stickereien aufbewahrt.
Aber was ist ́Angewandte Kunst ́ eigentlich? Ist es Kunst, die ́angewendet ́ werden kann? Die ́nützlich ́ oder vorrangig zum Gebrauch bestimmt ist?
Dies lässt sich nicht beantworten, ohne das Wort ́Kunst ́ zu untersuchen.
Es bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist (z.B. Heilkunst, Gartenkunst, Kunst der freien Rede usw.). Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind. Der Formationsprozess des Kunstbegriffs unterliegt permanent einem Wandel, der sich entlang von dynamischen Diskursen, Praktiken und institutionellen Instanzen entfaltet, wie wir noch sehen werden.
Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber seit der Moderne auch der Prozess selbst sein.
Römer und Griechen hatten nicht nur für dieselben Götter unterschiedliche Namen (Zeus – Jupiter, Venus – Aphrodite, Amor – Cupidus usw.); dies galt auch für das Wort ́Kunst ́: das lateinischen ́Ars ́ heißt im Altgriechischen ́Techne ́. Merken wir uns dieses Wort für später...Kunst ́ dagegen ist ein deutsches Wort und hat sich seit dem Althochdeutschen nie verändert; lediglich seine Pluralformen, von ́kunsti ́ zu ́künste ́. Ursprünglich ist ́kunst ́ ein Substantivabstraktum zum Verb ́können ́ mit der Bedeutung „das, was man beherrscht; Meisterschaft“.
Die Redewendung „Kunst kommt von Können“ ist also etymologisch richtig (-> kunnen, künnen = geistig und körperlich vermögen, imstande sein)
Kunst bezieht sich in diesem Sinne grundsätzlich auf alles, was Menschen können und was von Menschen gemacht ist. Der entsprechende Gegenbegriff ist Natur, wie in dem alltäglichen Gegensatzpaar natürlich / künstlich.
Bis in das 18. Jahrhundert wurde ́Kunst ́, ausgehend vom altgriechischen ́Techne ́, auch als Synonym für die Ausübung eines Handwerks benutzt, die ein Spezialwissen im jeweiligen Gewerk sowie hohe ästhetische Ausdrucksform erforderte und den Titel eines ́Kunstmeisters ́ trug. Erhalten hat sich dieser Gebrauch in der Redensart „hergestellt nach allen Regeln der Kunst“.
Seit der Aufklärung im 18. Jh. versteht man unter ́Kunst ́ jedoch vor allem die Ausdrucksformen der ́Schönen Künste ́, und mit Immanuel Kant lässt sich schließlich die Trennung der Begriffe (Kunst / Handwerk) konstatieren : „Im engern Sinne sind Handwerk und Kunst genau unterschieden...“, er muss aber dann doch im selben Satz feststellen: “...obwohl es an naher Berührung, ja Verfließen von beiden nicht fehlt“.
Aber ́verfließen ́ und trennen sich die Schwestern `Bildende ́ und ́Angewandte ́ Kunst tatsächlich immer wieder? Wie in einem Boxring, in dem sich die Protagonisten von Zeit zu Zeit in ihre Ecke zurückziehen, sich regenerieren oder ihr eigenes ́Ding ́ machen, um sich aus gegebenem Anlass wieder zu treffen? Nicht, um zu streiten, sondern im besten Sinne im Clinch zu liegen oder teilweise oder gar ganz die Seiten zu wechseln?
Mit schönster Selbstverständlichkeit und seit Menschengedenken bis heute haben (vornehmlich männliche) Künstler nicht nur in verschiedenen Disziplinen der ́Schönen Künste ́ ihre Ideen in Form ́gegossen ́, sondern auch ́Gebrauchsgegenstände ́ kreiert; denken wir nur an die Vertreter des Jugendstils oder des Art Decó wie z.B. Heinrich Vogeler, der nicht nur malte und illustrierte, sondern auch die Kunstzeitschrift ́Die Insel ́ mitbegründete, die später in den ́Insel-Verlag ́ überging. Der Häuser samt Inventar, von der Tapete bis zum Fenster, vom Fußboden bis zum Stuhl, vom Essbesteck bis zum Morgenmantel, entwarf und zum Teil auch selbst herstellte. In gewisser Weise war er schon um 1900 so etwas wie das `Bauhaus in Personalunion ́.
Zur selben Zeit wie er - und etwa 150 Jahre nach Kant - war es der bekannte Maler (und Grafiker, Glasgestalter, Keramiker, Designer) Fernand Léger, der feststellte, dass es dem Grunde nach keine Grenzen zwischen Angewandter und Bildender Kunst gäbe; und man sie dort, wo sie noch bestünden, bitte einzureißen habe.
Léger wurde in eine Zeit geboren, die man ́Beginn der Industrialisierung ́ nennt. Mit ihr begann der vielleicht grundlegendste Wandel der Neuzeit – nicht nur, aber auch im Bereich der Kunst im Allgemeinen und der Angewandten Kunst im Besonderen.
Wie schon bei den Reformbewegungen, die dem Bauhaus-Gedanken vorangingen, galt es nun, eine Antwort auf die Industrialisierung und ihre Folgen zu finden. Eine davon war, sich gegen den neuen ́Feind ́ der Massenvervielfältigung, Qualitätsverflachung und Individualitätsverlust zu verbünden und/oder sich neu zu positionieren: im Sinne des ́Verbündens ́ entstanden auf institutioneller Ebene (interdisziplinäre) ́Verbindungen ́ wie das Bauhaus und auf einer weiteren und erweiterten Ebene die GEDOK. Im Sinne der Neupositionierung Einzelner bzw. Kleinstgruppen eine Arts- and Crafts-Bewegung zum Schutze kleinerer Werkstätten und Ateliers.
Als weitere Reaktion entstand auch ein neuer Beruf: der des Designers. Dieser konnte sich wahlweise in der künstlerischen als auch handwerklichen Ausrichtung in der industriellen Produktion umtun. Als Ausbildungsberuf wurde der Designer nach dem 2. Weltkrieg etabliert und wird bis heute immer weiter aufgefächert – im vorhin genannten Sinne dynamischer Diskurse und Praktiken.
Erst mit der Industrialisierung begann also kurioserweise etwas, das in Bezug auf Ansehen und Akzeptanz der ́Angewandten ́ lange Zeit nicht erkennbar war. Zum Teil bis heute noch rümpfen ́Bildende ́ über ́Angewandte ́ die Nase; gleich, ob sich Letztere ganz in ihr ́Terrain ́ wagen oder nur Teile davon adaptieren.
Dabei hat sich – wie wir in vielen Präsentationen sehen, nicht zuletzt beim GEDOK FormART-Preis - die Angewandte Kunst zu einem unglaublich vielfältigen Biotop entwickelt, auch beeinflusst durch die Frauenbewegung und die Auseinandersetzungen im und mit dem (vor-)politischen Raum. Kunst war und ist immer ein Spiegel der jeweiligen Zeit, sodass in den letzten Jahren z.B. auch Themen wie Umweltschutz, Re- und Upcycling aufgegriffen werden und die Künstler*innen dabei vor kaum etwas Halt machen, was sie für ihre Kreativität und ihr Handwerk oder Genre nutzbar machen können.
Dabei adaptieren sie nicht wahllos, sondern knien sich mit der Akribie eines Mikrobiologen in andere Genres und Materialien hinein, werden gleichsam zu Alchimist*innen, deren Ergebnisse von fast kontemplativer bis zu aufwühlender Schönheit und handwerklicher Akkuratesse seit Jahren – und in dieser Ausstellung - zu sehen sind.
In dieser Ausstellung sind originelle Exponate zu sehen, die einen überraschend experimentellen Charakter haben, auch durch ihre Verknüpfung von Techniken und Bearbeitungen, wie sie ebenfalls in der Bildenden Kunst anzutreffen sind.
Lediglich ihre angewandte Zuordnung läßt erkennen, dass die Objekte zum Beispiel Broschen oder Lampen sind und nicht experimentelle Kleinplastik.
Heute hat sich die Anzahl der etwa 2800 Mitglieder der GEDOK im Hinblick auf die Gründungszeiten nahezu halbiert, die Sektion Angewandte Kunst/ArtDesign hat z.Zt. etwa 350 Künstlerinnen zu verzeichnen.
Dies scheint zunächst dramatisch, ist es aber nicht: einige Regionalgruppen haben die Unterscheidung zwischen AK und BK aufgegeben. Und einige ́Angewandte ́ Künstlerinnen lassen sich gleich in die Sektion BK aufnehmen, weil sie damit leichter in die Künstlersozialkasse aufgenommen werden und den Internationalen Künstlerausweis der IGBK erhalten können. Diese Institutionen hinken also der allgemeinen Entwicklung immer noch hinterher. Zu einer weiteren formalen Spaltung führt sicher auch der Umstand verschiedener ministerialer Zuständigkeiten: für die Bildende Kunst ist das Bundesministerium ́Bildung und Forschung ́ (auf Länderebene die Ministerien für Wissenschaft und Kultur etc.) zuständig, für die Angewandte Kunst das Bundesministerium für Wirtschaft (dto. auf Länderebene).
Seit etwa 10 Jahren trägt die Sektion ́Angewandte Kunst ́ den Zusatz ́ArtDesign ́. Dies trägt der Erweiterung dieses kreativen Feldes sowie der Verbindung zur Sektion BK Rechnung und ermöglicht eine problemlosere Aufnahme in oben genannte Institutionen.
An modernen Kunsthochschulen in Europa werden unter anderem auch die bekannten Designtechniken gelehrt. Der übergreifende Lehranspruch des modernen Projektstudiums macht es möglich, dass Studierende sowohl an Projekten und Seminaren der Bildenden Künste als auch des Designs teilnehmen können. Kreative Interaktion bringt Exponate hervor, die es fast unmöglich machen, sie den traditionellen Fachrichtungen zuzuordnen. Abschließen möchte ich mit 2 Zitaten:
Eines ist vom letzten Direktor des Bauhauses, Mies van der Rohe:
„Eine solche Resonanz kann man nicht mit Organisation erreichen und nicht mit
Propaganda. Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten.“
Nun, zumindest die GEDOK lebt als Organisation und Institution über 90 Jahre – nicht zuletzt wegen der Kraft ihrer eigenen Idee.
Das zweite ist aus dem am 05.07. erschienenen Newsletter der ART AUREA, der besser nicht passen könnte und überschrieben ist mit:
Wertschätzung für Handwerk und Kunst:
Wertschätzung ist ein Begriff, der für unser Zusammenleben von essentieller Bedeutung ist. „Empfangene und gegebene Wertschätzung vergrößern das Selbstwertgefühl sowohl beim Empfänger als auch beim Geber“, heißt es auf Wikipedia. In der Praxis ist eine besondere Wertschätzung mit Leistungen und Qualitäten verbunden, das gilt für den einzelnen Menschen wie für Institutionen, Berufe und Disziplinen. Wertschätzung muss erarbeitet werden.
Für hochwertiges Kunsthandwerk und Angewandte Kunst ist die Wertschätzung in den vergangenen Jahren gewachsen. Der Grund liegt nicht nur in der Schönheit und Qualität der Werke, sondern auch in der greifbaren Authentizität der GestalterInnen. In einer Welt anonymer Produkte und undurchsichtiger Produktionsketten, .., erscheint meisterhafte Handwerkskunst wie eine heile Oase“.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche diese vor allem den hiesigen Ausstellerinnen:
Angelika Karoly, Keramik
Juliana Jaramillo, Keramik; BK
Silke Prottung, Goldschmiedin
Susanne Schnaidt, Goldschmiedin
Sabine Siegmeyer, Textil
Ilsemarie Wülfing, Keramik
Und als Gast: Rose Schrade, Goldschmiedin
Barbara Sowa, Bundesfachbeirätin Angewandte Kunst / ArtDesign im Vorstand GEDOK e.V.
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